Klassisch war die Reinraumproduktion mit dem fertigen, reinen Produkt abgeschlossen. Dort endet auch die hohe Automatisierung, und in einem separaten Verpackungsbetrieb griffen wieder mehr Hände in den Prozess ein. Sie notieren Daten, erfassten damit Chargeninformationen. Wenn aber Fehler passierten oder gar ein Rückruf nötig wurde, war die Rückverfolgung schwierig und aufwendig.
Behördliche Vorgaben – Verpackung im Fokus
Nun liessen die regulatorischen Anforderungen (z.B. GMP, Vorgaben der Food and Drug Administration FDA) schon immer eine möglichst weitgehende Automatisierung im Reinraum als wünschenswert erscheinen. Zunächst entwickelten sich Mischformen mit teilautomatisierten Prozessen und mit einer teildigitalen Datenerfassung.
Gleichzeitig erhielten sterile Primärverpackungen (z. B. Blister, Beutel, Flaschen) eine neue Bedeutung als kritischen Komponente schon bei der Zulassung von Medizinprodukten und Pharmazeutika. Denn hier muss vom Pharma-Grade-Rohstoff über die Reinraumproduktion nach DIN 14644 (z.B. Reinraumklasse 5) und nach Guter Herstellungspraxis (GMP) bis zum validierten Sterilprodukt (z.B. ISO 11137-2) alles stimmen. Dazu zählt auch die Verpackung des Produkts, beispielsweise die Doppelverpackung in verschweißten Beuteln aus LDPE gemäß dem US- oder dem Europäischen Arzneibuch.
Die Impulse sowohl von der regulatorischen Seite als auch von der Entdeckung der strategischen Bedeutung der Verpackung führen die Hersteller (1) zu einer Zusammenführung von Reinraumproduktion und Verpackungsbetrieb zu einem Ganzen, das dann konsequenterweise ganzheitlich automatisiert wird, und (2) zu einem selbstverständlichen Einsatz von RFID-Tracking über die Sekundärverpackung (z.B. in Kartons) und den Versand bis hin zum Endverbraucher, also nicht nur auf Chargenebene, sondern auf der Ebene der einzelnen Produkte. Ein jedes von ihnen lässt sich über die Transponderdaten unmittelbar bis zu seiner Produktion im Reinraum zurückverfolgen. Insbesondere kann bei einem Rückruf oder bei einer Abweichung von den genehmigten Prozessen, Verfahren, Anweisungen, Spezifikationen oder Standards der Weg jedes einzelnen Produkts durch die Produktion, Verpackung und Auslieferung nachvollzogen werden.
Rein und verpackt
So kann das dann in der Realität aussehen: Im Reinraum arbeiten ohne menschliches Zutun viele Förderbänder und Greifarme automatisch. Sie beladen AGVs (Automated Guided Vehicles) mit dem Medizinprodukt oder Medikament, fahren es hinüber zum Primärverpackungsbetrieb, und dort entladen wiederum Greifarme die AGVs und geben das Produkt weiter zur automatischen Heiß- oder Ultraschallversiegelung.
In Abhängigkeit vom Produkt lassen sich allerdings unterschiedliche Integrationsgrade von Reinraumproduktion und Primärverpackung als Ziel vorgeben. So wird man etwa bei Implantaten, Spritzen und ähnlich en oder sensiblen Produkten eine Vollintegration der Primärverpackung in die Reinraumproduktion anstreben. Ähnlich verhält es sich bei Produkten, die nach der Verpackung endsterilisiert werden, zum Beispiel durch Gammastrahlen (ISO 11137-2), und bei kleinen Mengen individueller Medikamente, wie sie in der personalisierten Medizin gegeben werden.
Die Primärverpackung, zum Beispiel durch Heißversiegelung oder Ultraschallversiegelung, erfolgt vollautomatisch wie die Produktion im selben Reinraum – keine Hände, keine Wände. Am Ende fällt das fertig verpackte Produkt, bildlich gesprochen, einfach heraus. Bei Vollintegration stehen dem maximalen Schutz vor Kontaminationen allerdings hohe Aufwendungen für viele reinraumtaugliche Maschinen gegenüber.
Bei Produkten mit hohem Durchsatz oder mit einer komplexeren Verpackung als die Herstellung selbst wird man Produktion und Primärverpackung in aneinander angrenzenden Reinräumen unterbringen und diese durch Schleusen verbinden. Produktion und Verpackung werden bevorzugt vollautomatisiert, bleiben aber voneinander getrennt und werden oft unterschiedliche Reinraumklassen aufweisen. Dem Vorteil einer einfacheren Wartung des Gesamtsystems und einer einfacheren Planung stehen ein höheres Kontaminationsrisiko beim Produkt-Transfer in das Verpackungsmodul gegenüber.
Müssen sterile Produkte höchste GMP-Anforderungen erfüllen oder ist an eine räumlich getrennte Optimierung von Produktion und Verpackung gedacht, so wird die Verpackung bevorzugt in einem Container oder Isolator innerhalb des Haupt-Reinraums untergebracht. Gegenüber der Variante mit aneinander angrenzenden Reinräumen ist auf diese Weise das Kreuzkontaminationsrisiko verringert, wobei sich allerdings die Anfangsinvestition, der Aufwand während des Betriebs und insbesondere für Validierung und Dokumentation erhöhen.
In jedem Falle erhält im Zuge der Verpackung jedes Produkt automatisch seinen RFID-Transponder. Zum Beispiel wir er bei einer typischen Doppelbeutelverpackung als Etikett auf den inneren Beutel geklebt.
Aktuelle Erfolge und Blick in die Zukunft
Eine hohe Automatisierung und eine RFID-gestützte Rückverfolgbarkeit von der Produktion über die Logistik bis zur Auslieferung an einen Anwender bzw. Endverbraucher sind zwar in vielen Bereichen wünschenswert, besonders jedoch in der Herstellung und Auslieferung von Arzneimitteln und Medizinprodukten. Denn wenn hier etwas schiefgeht, ist die Wirksamkeit von Therapien gefährdet – mit unter mit gravierenden Folgen für die betroffenen Patienten. Allerdings lassen sich angesichts von Reinraumproduktionen mit scharfen behördlichen Vorgaben und zusätzlichen produktindividuellen Aspekten gerade im Pharma- und Medizinproduktebereich diese hohe Automatisierung und RFID-gestützte Rückverfolgbarkeit nur mit einem stringenten Konzept und einer intelligenten Implementation umsetzen. Zu den Erfolgsbeispielen zählt beispielsweise eine Produktion/Verpackung von technischen Bauteilen und Baugruppen für die Pharma- und Medizintechnik-Branche nach GMP-Anforderungen unter Verwendung der Kunststoffspritzgusstechnik (z.B. Nasenspray-Zerstäuber, Apothekerdosen mit Schraubdeckel, Tablettenröhrchen mit Federsegment-Stopfen, Pöppelmann Famac, Lohne/Niedersachsen).
In Zukunft dürften sich durch eine durchgehende Automatisierung die Reinräume weiter leeren. Mitarbeiter, die heute noch Filter wechseln, Oberflächen reinigen, Stichproben nehmen, Maschinen rüsten und umrüsten sowie bei Störungen mit den Händen eingreifen, werden mehr und mehr die Rolle eines Beobachters und Entscheiders spielen. Auf die dafür benötigten Daten greifen sie bei Bedarf von remote über eine Cloud zu; den Prozess steuern sie mit dem Smartphone oder mit anderen digitalen Endgeräten.
Zusätzliche Unterstützung erhalten sie von Künstlicher Intelligenz (KI). Sie dürfte die Überwachung des Gesamtprozesses noch effektiver machen. Das betrifft besonders die Mustererkennung in Bildern und Spektren. Auf diesem Gebiet verfügt KI bekanntlich über ihre größten Stärken, so dass sie beispielsweise bei der Tablettenkontrolle „die guten ins Töpfchen und die schlechten ins Kröpfchen“ sortieren und dabei Fehler im Prozess erkennen kann. Chancen für eine zusätzliche Absicherung von Datenintegrität und Prozesstransparenz könnte des Weiteren die Blockchain-Technologie bergen. Sie bietet sich zur Validierung und Speicherung von RFID-Daten an.
Autor
Dr. Christian Ehrensberger, CCR